Kartierung der Konzerte von Beethoven und Haydn: das Projekt "Konzertleben in Wien".

Einige Transkribus-Projekte enden mit einer vollständig digitalisierten Sammlung in Transkribus. Andere nehmen diese digitalisierte Quelle und verwenden sie als Beitrag zu einem umfassenderen Projekt.

"Konzertleben in Wien" ist ein Projekt der letzteren Art. Ein Forschungsteam an der Universität Wien erstellt derzeit eine Datenbank über Konzerte und kulturelle Veranstaltungen in der Stadt von 1780 bis 1830, der Ära von Beethoven, Haydn und Schubert. Die Datenbank wird es Wissenschaftlern und der Öffentlichkeit ermöglichen, nach Informationen über Konzerte in der Stadt zu suchen, einschließlich der Musik, des Veranstaltungsortes und der anwesenden Personen, und es den Nutzern sogar ermöglichen, die Musik so zu hören, als ob sie im Saal wären.

Wir sprachen mit Mary Kirchdorfer, einer Doktorandin des Projekts, um mehr darüber zu erfahren, wie Transkribus zu diesem epochalen Projekt beiträgt.

Viele Konzerte in Wien fanden zu dieser Zeit in privaten Räumlichkeiten statt. © WolfD59 über Wikimedia Commons.

Wien im Zentrum der klassischen Musikwelt

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war Wien einer der wichtigsten kulturellen Hotspots in Europa. Die Stadt, in der Haydn, Schubert und vor allem Beethoven lebten, wurde zu einem Zentrum für Musiker und Komponisten, die den Übergang von der "klassischen" zur "romantischen" Epoche der Kunst vollzogen. Da die Stadt jedoch bis 1831 kein offizielles Musikzentrum besaß, wurden Konzerte und musikalische Veranstaltungen in Palästen, Salons oder sogar Kaffeehäusern organisiert.

Es sind diese Konzerte, die Mary und das Projekt "Konzertleben in Wien" abbilden wollen. Die Datenbank des Teams wird Informationen aus einer Vielzahl von Quellen enthalten, die dazu beitragen sollen, eine umfassende Datenbank aller musikalisch relevanten Personen, Werke, Veranstaltungsorte und Aufführungen in Wien in diesem Zeitraum zu erstellen.

"Unsere Datenbank zielt darauf ab, das, was bereits aus Sekundärquellen über das Konzertleben bekannt ist, zu konsolidieren und zu verifizieren, und das, was über diese Konzerte noch unbekannt ist, durch die Auswertung verschiedener unerschlossener Primärquellen zu ergänzen."

Perth führte fast sein ganzes Leben lang ein Tagebuch. Tagebuch von Matthias Franz Perth (1788-1856). © Mary Kirchdorfer, über Wienbibliothek im Rathaus.

Die Entschlüsselung des Tagebuchs von Matthias Franz Perth

Eine dieser Primärquellen ist das Tagebuch von Matthias Franz Perth. Perth war weder Komponist noch Musiker, sondern eher ein Stadtverwalter mit einer Leidenschaft für das Tagebuchschreiben. "Perth ist in vielen wissenschaftlichen Disziplinen bekannt, vor allem weil er 53 Jahre lang akribisch Tagebuch führte und manchmal über 500 Seiten allein für ein Jahr schrieb", erklärt Mary.

 Während sich viele seiner Tagebucheinträge mit den alltäglichen Dingen des Lebens befassen - z. B. welches Bierhaus er besuchte, was Milch kostete und Tabellen mit Angaben zur Inflation - schrieb Perth auch detaillierte Beschreibungen von kulturellen Veranstaltungen wie klassischen Konzerten, Live-Musik in Kaffeehäusern, Festen, Bällen und Theateraufführungen. Diese Beschreibungen sind eine wertvolle Informationsquelle für die Datenbank "Konzertleben in Wien".

"Für unser Projekt interessiere ich mich für die vollständigen Konzertprogramme, die er in seine Tagebücher kopiert hat, insbesondere Salons oder Veranstaltungen in einem intimeren Rahmen", so Mary. "Viele seiner Beobachtungen sind in den Zeitungsberichten nicht enthalten, oder er beschreibt ein Ereignis, das gar nicht in der Zeitung stand. Wir hoffen, anhand seiner Augenzeugenberichte klären zu können, wer welche musikalischen Werke an welchem Ort aufgeführt hat."

Ein komplettes Konzertprogramm, das Perth mit Aloys Khayll und Caroline Unger zusammengestellt hat. Tagebuch von Matthias Franz Perth (1788-1856). © Mary Kirchdorfer, über Wienbibliothek im Rathaus.

Erste Schritte mit Transkribus

Vor dem Zeitalter der künstlichen Intelligenz hätte Mary jedes einzelne Tagebuch von Perth mühsam durchlesen und die Details der von ihm beschriebenen kulturellen Ereignisse manuell notieren müssen. "Die schiere Menge an handgeschriebenem Material zu durchforsten, würde Ewigkeiten dauern. Allein für die Konzertsaison 1823-1824 [schrieb] Perth fast 600 Seiten". 

Stattdessen wollte das Team den Prozess mit Technologie beschleunigen und beschloss, Perths Tagebücher mit Transkribus zu transkribieren. "Die Verwendung von Transkribus wird es mir ermöglichen, Informationen über das Wiener Musikleben in einem viel [...] produktiveren Tempo zu finden", erklärte Mary. "Ich habe gerade die Bearbeitung von 50 Seiten abgeschlossen, was bedeutet, dass wir genug korrigiertes Material haben, um unser eigenes Modell für Perths Tagebücher zu trainieren. Ich gehe davon aus, dass wir in der Lage sein werden, [viel schneller] zu erfassen, was noch in diesem Tagebuch steht, und es dann in unsere Datenbank aufzunehmen."

Die Verwendung von Transkribus hat noch einen weiteren Vorteil: "Meine eigene Lesefähigkeit "Kurrentschrift" hat sich auch dramatisch verbessert!"

Mit Transkribus das Tagebuch von Perth entschlüsseln. © Mary Kirchdorfer via Transkribus

Die weniger bekannte Seite von Perth

Marys Hauptaugenmerk liegt zwar auf den Konzerten und kulturellen Ereignissen, die in den Tagebüchern von Perth beschrieben werden, aber auch die kontextuellen Informationen, die diese begleiten, sind von unschätzbarem Wert. "Ich habe so viel über das tägliche Leben in [dieser] Zeit gelernt. Das wird mir helfen, in meiner Dissertation über den Kontext des Wiener Konzertlebens zu schreiben."

Darüber hinaus hat Mary einige interessante Informationen über das Privatleben von Perth entdeckt. "Perth war selbst ein Geschichtsfan", erzählte sie uns. "Zu jedem datierten Eintrag fügt er auch einen "Geschichtskalender" hinzu, in dem er erklärt, was "an diesem Tag in der Geschichte" passiert ist. Dazu gehören Musikgeschichte, Kriegsgeschichte und sogar medizinische Entwicklungen wie der erste Impfstoff gegen Kuhpocken." 

"Ich habe auch herausgefunden, dass er sehr eng mit Aloys Khayll (1791-1866) befreundet war, dem Flötenvirtuosen, der mit Beethoven und am Burgtheater spielte. Sie gingen oft in das Gasthaus "zu den 7 Sternen", um gemeinsam Karten zu spielen.

Perth nutzte sein Tagebuch wie ein Sammelalbum; hier hat er einem Eintrag seine Visitenkarte beigefügt. Tagebuch von Matthias Franz Perth (1788-1856). © Mary Kirchdorfer, über Wienbibliothek im Rathaus.

Die Konzerte digital nachbilden

Die Datenbank "Konzertleben in Wien" ist noch in Arbeit. Derzeit ist die Konzertsaison 1823-1824 die einzige, die vollständig abgeschlossen ist, mit Angaben zu über 1000 relevanten Personen und über 200 Konzerten.

Das Projekt "Konzertleben in Wien" will jedoch nicht nur über die stattgefundenen Veranstaltungen informieren, sondern sie durch die Erstellung einer interaktiven Karte aller Veranstaltungen auch visualisieren. Dank einer Zusammenarbeit mit dem Wiener Musikverein können die Nutzer die Konzerte sogar selbst erleben. Technische Universität Berlin

"Unsere Kollegen in Berlin arbeiten mit uns zusammen, um die Akustik einiger dieser Konzertsäle (die nicht umgestaltet wurden) zu messen und die Musik in diesen Räumen wiederzugeben. Der Endnutzer kann auch wählen, wo im Raum er zuhört (im Eingang, in der ersten Reihe, in der letzten Reihe usw.), um die akustischen Unterschiede zu hören. Dies wird [...] dem Endnutzer ermöglichen, einige dieser Konzerte in ihrem ursprünglichen Raum zu hören."

Das Team in Berlin kartiert die Akustik der verschiedenen Veranstaltungsorte in Wien. © TU Berlin

Zugänglichmachung historischer Dokumente

Natürlich gibt es noch viel Arbeit an der Datenbank "Concert Life in Vienna" zu tun. Mary und ihre Kollegen transkribieren derzeit den Rest von Perths Tagebuch mit Hilfe von Transkribus, ganz zu schweigen von der Sammlung von Daten aus vielen anderen Primärquellen, die in dieser Zeit geschrieben wurden. Das Projekt steckt zwar noch in den Kinderschuhen, aber die erste öffentliche Reaktion war groß. Die Datenbank wurde zum ersten Mal auf einer internationalen Konferenz zum 200. Jahrestag der Uraufführung von Beethovens 9.

Für Mary geht es bei dem Projekt jedoch nicht nur darum, die bereits bekannten Musikwerke bekannt zu machen, sondern auch darum, Menschen die Möglichkeit zu geben, bisher unbekannte Ereignisse und Werke zu entdecken. "Ich hoffe, dass unsere Datenbank einen besseren Zugang zu historischen Dokumenten des Wiener Konzertlebens ermöglicht, so wie Transkribus unsere Vergangenheit lesbarer macht. Es ist ein unglaubliches Werkzeug für jedes Projekt, das mit historischen Dokumenten arbeitet."

Danke, Mary, dass du uns von deinem Projekt erzählt hast.

Vorschaubild: Maria Kirchdorfer

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